Als Kind durfte ich eine sehr liebevolle und christliche Erziehung genießen. Es gab keinen Sonntag, an dem der Gottesdienst ausgelassen wurde. Sehr früh haben wir das Rosenkranzgebet in der Kirche führen dürfen und oft haben wir ministriert (dem Pfarrer bei der Messe gedient). Vor dem Abendessen hat jedes Kind sein eigenes Tischgebet gesprochen und vor dem Schlafengehen wurde gemeinsam als Familie in der Bibel gelesen und gebetet.

Die Liebe zu Jesus, dem Sohn Gottes, wurde meinen Geschwistern und mir sozusagen schon in die Wiege gelegt und Jesus war bis zu meinem 14ten Lebensjahr mein bester Freund. Ich hatte immer ein Taukreuz (Das T, Symbol des Franziskanerordens ist für Christen ein Zeichen des Kreuzes, des Heils, der Erlösung und des Segens) um den Hals und flüsterte gefühlt 50 Stoßgebete täglich in den Himmel. Während meine gleichaltrigen Freunde in Kuscheltieren Trost suchten, hielt ich mein Taukreuz in jeder noch so schwierigen oder erfreulichen Situation fest in meiner Hand. Meine Eltern haben mir dazu nie eine Anweisung gegeben. Ich bin mir, ehrlich gesagt, gar nicht sicher, ob sie überhaupt davon wussten. Doch ich war durch ihr christliches Vorbild so geprägt, dass ich immer Halt bei meiner Halskette, und somit bei Jesus, suchte.

Mit der Pubertät kamen meine rebellischen Phasen und der (aus heutiger Sicht) falsche Freundeskreis. Meine Eltern haben uns ab einem gewissen Alter die Freiheit gegeben, selbst zu entscheiden, ob wir mit Gott was am Hut haben wollten oder nicht. Mit 14 oder 15 Jahren begann meine Ausgehzeit, sprich, der Besuch der Disco am Samstag wurde zum Highlight der Woche. Also entschied ich mich immer öfter, sonntags nicht mehr mit zur Messe zu gehen. Bald war ich auch zu „cool“, um mit meinen Eltern und Geschwistern gemeinsam abends zu beten, bis ich mich schließlich komplett von Gott und den religiösen Ritualen innerhalb der Familie und Gemeinde distanzierte. Für meine Eltern war das eine sehr harte Zeit, die auch in ihrer Ehe immer wieder zu Problemen führte. Mein damaliger Trotz, meine freche Art und mein Stolz trieben sie bis an ihre Grenzen. Mit 16 zog ich in eine eigene kleine Wohnung neben der meiner Eltern und hatte zeitweise monatelang gar keinen Kontakt zu ihnen oder meinen Geschwistern. Immer wieder hatte ich kurzzeitig einen Gedanken an meinen Vater im Himmel, aber durch die Ablenkungen, die einer Jugendlichen in diesem Alter widerfahren, habe ich diesen gekonnt ignoriert. Die Sehnsucht jedoch, mich mit dem HERRN zu versöhnen, wollte nicht nachlassen und wurde mit zunehmenden Alter immer stärker. Meine große Schwäche war allerdings meine fehlende Ausdauer und mein schlechtes Gewissen, das mich bei der kleinsten Sünde überkam.

Ich denke, am besten lässt es sich mit einer Diät veranschaulichen. Du wirst bestimmt irgendwann in deinem Leben eine Diät begonnen haben oder zumindest eine Diät bei deinen Freunden mitbekommen haben. Im Anfang ist man übermotiviert, macht sich Ernährungs- und sogar Trainingspläne. Zwei, drei, oft auch zehn Tage läuft alles super. Doch dann kommt ein Rückfall. Man sieht zum Beispiel eine Tafel Schokolade und kann dieser einfach nicht widerstehen. Der Heißhunger und die Verzweiflung sind so groß, dass man die ganze Tafel auf einmal verschlingt. Danach versinkt man in Selbstzweifel und denkt sich: „Ach, jetzt war die ganze Diät völlig umsonst. Nun kann ich mir auch gleich eine Pizza bestellen und die Diät zur Hölle schicken!“ Diese Situation gibt meinen Glauben zu dieser Zeit sehr gut wider. Es begann immer motiviert mit der Suche nach Gott, einer abgelegten Lebensbeichte, regelmäßigen Gottesdienstbesuchen und täglichem Gebet. Dann ging ich einmal über Nacht in eine Disco und war am nächsten Morgen schlicht zu müde oder – ja, ich gebe es zu – zu faul den Gottesdienst zu besuchen. Oder ich kam wieder mit meinem Ex-Freund zusammen und schickte die Enthaltsamkeit, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, im wahrsten Sinne des Wortes, zum Teufel.

Da war ich wieder; alles war vergebens gewesen. Dabei begann es immer so vielversprechend und ich war jedes Mal davon überzeugt, dass es diesmal anders sein würde. Mein schlechtes Gewissen quälte mich dermaßen, dass ich mich vor Scham wieder komplett von Gott abwandte. Ich wusste damals bereits, dass Jesus für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist und Gott mir immer wieder verzeihen würde, ja, mir sogar mit offenen Armen entgegenlaufen würde, wenn ich demütig zu ihm zurückkehren würde und ihn um Verzeihung bitten würde. So wie es in der Bibel im Gleichnis von den zwei Söhnen zu lesen ist:

“Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und hatte Erbarmen; und er lief, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, und ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen! Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt das beste Festgewand her und zieht es ihm an, und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an die Füße; und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es; und lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; und er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.” (Lk 15, 20-24)

Doch da war dieser kleine, imaginäre Teufel auf meiner Schulter, der mir immer wieder zuflüsterte: „Wer bist du, dass Gott dir immer wieder die gleichen Sünden verzeihen sollte? Du bist doch eine Lügnerin und machst ihm nur ständig falsche Versprechungen.“

In dem Moment war er einfach viel überzeugender als der kleine, imaginäre Engel auf der anderen Schulter, der mir ins Ohr säuselte: „Es ist okay. Es gibt keinen Menschen auf dieser Erde ohne Sünde. Es ist dein demütiges Herz und dein Wille, dich zu bessern, was Gott von dir erwartet.“

Leider war für mich Satan überzeugender, weil ich selbst anderen Menschen höchstens drei Mal, und dann auch nur aufgrund überzeugender Argumente, vergeben konnte. Ich hatte Gott viel zu oft belogen und betrogen. Es gab keinen vernünftigen Grund, weshalb ich seiner Gnade würdig sein und eine weitere Chance erhalten sollte. Diese Auffassung begleitete mich noch sehr viele Jahre.

 

Veronika Rajic