Dieses Zitat wird meistens verwendet, um darauf hinzuweisen, dass wir Menschen, insbesondere als Frauen, zuerst für unser eigenes Wohlbefinden sorgen müssen, bevor wir für andere da sein können. Während ich zustimme, dass wir aufpassen müssen uns nicht bis zum Zusammenbruch aufzuopfern, da wir niemandem helfen können, wenn wir selbst am Boden liegen, habe ich Schwierigkeiten mit der allgemein akzeptierten Interpretation dieser Aussage.

Diese Haltung besagt nämlich, dass man sich selbst an erster Stelle setzen muss und dass man erst dann für andere sorgen kann, wenn es einem selbst gut geht. Tausend Ausreden jemandem nicht helfen zu können und „Gesunder Egoismus“ bekomme ich in diesem Zusammenhang oft zu hören.

Partnerschaften, in denen sich die Partner weigern, uneigennützig zu geben, weil sie nicht genug erhalten; Mütter und Väter, die unzählige Stunden und Geld in Selbstfürsorge und „Me-Time“ investieren und dennoch unglücklich sind; Menschen, die für ihre Familien, geschweige denn für Andere nicht da sein können, weil sie der Meinung sind, dass sie selbst noch ein bisschen glücklicher sein könnten. Das geht sogar so weit, dass selbst „gläubige und praktizierende Christen“ Gott als Ausrede nutzen, um für den Nächsten nicht da sein zu können. Oft kommen Aussagen wie „Man müsse zuerst die eigene Beziehung zu Gott befestigen und sich mit dem Hl. Geist füllen, sprich sich die Rüstung Gottes aufsetzen lassen, um dann erst für Andere da sein zu können.“

Ich möchte niemanden verurteilen, sondern vielmehr darauf aufmerksam machen – Gott kennt mein Herz. Ich spreche von den Pharisäern und ihrem egoistischen Glauben. Jesus sagte: “Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt!” Wenn du diese Einstellung teilst, frage ich dich: Wann ist dein Glas voll? Wann erreichst du endlich den Höhepunkt? Wann bist du völlig ausgeruht, perfekt versorgt und satt? Wann ist deine eigene Beziehung zu Gott auf dem Höchststand? Bist du endlich bereit, deine Liebe zu Gott auch durch Taten zu beweisen? Das kann nur geschehen, wenn du dich um deinen Nächsten kümmerst, anstatt stundenlang im Gebet oder in der Kirche zu verbringen und dabei die Liebe, Zeit oder Hilfe im näheren Umfeld zu vernachlässigen oder gar ganz zu verweigern.

Bitte missverstehe mich nicht, Jesus selbst sagte zu Heiligen Faustyna: “Zuerst die Tat, dann das Wort und dann erst das Gebet!” Es gibt mehrere Möglichkeiten am Tag zu beten, jedoch nur begrenzte Möglichkeiten für Taten, Worte, Zeit und Nächstenliebe. Nimm dir den Heiligen Phillip Neri als Beispiel, wie er es handhabte: tagsüber Taten und Worte, und nachts dann das Gebet. Das Ausführen von Taten und das Sprechen von Worten mit Liebe sind genauso Gebet! Die Liebe zu Gott und die Nächstenliebe gehen Hand in Hand. Das Eine ohne das Andere ist nichts weiter als Egoismus und leeres Gerede.

Ihr seht also, dass sich selbst an erste Stelle setzen, meist nur zu den kreativsten und absurdesten Ausreden sowie Ergebnissen führt. Selbstfürsorge und das Wohlbefinden anderer müssen sich nicht ausschließen, sondern können Hand in Hand gehen. Ist es nicht meistens so, dass wie gerade dann am meisten erhalten, wenn wir großzügig geben? Eine alternative Perspektive könnte sein, dass wir uns nicht darauf konzentrieren sollten, unser Glas zu füllen, sondern darauf, unser Glas überfließen zu lassen. Durch Großzügigkeit und Mitgefühl können wir anderen helfen und gleichzeitig selbst erfüllt und glücklich sein.

Es ist wichtig, dass jeder seine eigene Balance findet und nicht nur auf persönlichen Erfolg abzielt, sondern auch auf das Wohlbefinden der Menschen um uns herum. Es ist nicht falsch, sich auch mal zurückzuziehen und für das eigene Wohlbefinden zu sorgen, aber es ist auch wichtig großzügig zu sein und anderen unser Bestes zu geben, auch wenn wir uns nicht perfekt fühlen.

Auf diese Weise schaffen wir ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Selbstfürsorge und Fürsorge für andere. Am Ende des Tages werden wir feststellen, dass das Glück, das wir durch das Geben und Unterstützen anderer erfahren, uns weit übertrifft. Es ist ein Gefühl der Verbundenheit und des Sinnstiftens, das uns erfüllt und unserem Leben einen tieferen Zweck verleiht. Also warum nicht einen Schritt zurücktreten und erkennen, dass das Geben viel wertvoller ist als das Einnehmen?

 

Veronika Rajic